Predigt zu Weihnachten

Liebe Gemeinde

Wir haben im Lesungstext von der Geburt des Immanuel, des „Gott mit uns“ gehört. Was ist das für ein Mensch, von dem die Menschen sagen, dass in ihm Gott mit uns ist?

Würden wir die Weihnachtsgeschichte nicht schon von Kind auf kennen, wir dächten dieser „Gott mit uns“ müsste ein besonders edler Mensch sein, der irgendwo an einem guten Ort in einer berühmten Familie geboren ist.

Vom Evangelisten Lukas wissen wir, dass dieser Jesus nicht an einem bequemen Ort geboren wurde, sondern bei den Tieren im Stall „in einer Krippen hart“, wie es in einem Lied heisst.

Der Evangelist Matthäus geht der anderen Frage nach. Nämlich: In was für eine Familie wurde Jesus geboren? Um diese Frage zu beantworten, schreibt Matthäus zu Beginn seines Evangeliums - bevor Jesus überhaupt geboren wird, vor dem Text zur Geburt, den wir gehört haben -  seinen Stammbaum, über den ich heute mit Ihnen nachdenken will.

Der Stammbaum beginnt mit dem Stammvater der Juden, mit Abraham: Abraham zeugte den Isaak. Isaak zeugte den Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder etc.

Und so geht es über 42 Generationen hinweg, bis wir bei Joseph, dem Vater Jesu angelangen. Ich lese den Stammbaum nicht vor, denn die allermeisten Namen, die darin genannt werden, sagen mir und auch Ihnen wahrscheinlich nicht viel.

Warum aber setzt dann der Evangelist Matthäus 42 trockene Namen an den Anfang seines Evangeliums, vor die Geburt von Jesus? Was will uns der erste Evangelist damit sagen? Es gibt 4 Stellen, die Matthäus wie mit einem Leuchtstift für uns anstreicht. Im trockenen Stammbaum gibt es 4 Ausreisser, 4 Stellen, bei denen in der langen Männerliste auf einmal ein Frauenname auftaucht.

Die 4 Frauen heissen Thamar, Ruth, Batscheba und Maria. Auch dies, ausser vielleicht Maria, keine glänzenden Namen, die wir gut kennen. Und trotzdem glaube ich, dass uns Matthäus gerade heute am Weihnachtstag etwas durch diese 4 Frauen sagen will.

Schauen wir auf die erste, auf Thamar. Ihr wurde von Juda ein Sohn als Mann versprochen. Doch Judas erster Sohn starb, ohne ihr ein Kind zu hinterlassen. Damals war es üblich, dass, wenn ein Mann verstarb, ohne der Frau ein Kind zu schenken, der zweite Sohn diese Pflicht erfüllen musste. Der zweite Sohn von Juda verstarb aber ebenso, ohne ihr ein Kind zu hinterlassen.

Da musste ihr Juda den dritten Sohn versprechen. Aber Juda dachte: „Zwei meiner Söhne sind bei dieser Frau schon gestorben. Irgendetwas ist mit ihr nicht in Ordnung. Sie ist mir ungeheuerlich!“ Und er versuchte, Thamar hinzuhalten. Er dachte vielleicht, dass Thamar dann ins Alter käme und es sich mit dem Sohn von alleine erledigen würde.

Was konnte eine Frau damals in dieser Zeit tun, um einen versprochenen Sohn zu bekommen, wenn ein angesehener, reicher Mann wie Juda sie betrog, sie im Stich liess?

Eine Antwort, die man vielleicht nicht in der Bibel erwarten würde: Sie verkleidete sich als Dirne, um von ihrem Schwiegervater Juda schwanger zu werden.

Wer hätte das gedacht. Im Stammbaum Jesu ist eine Frau, die als Dirne verkleidet ein Kind von ihrem Schwiegervater erwartet!

Und trotzdem verurteilt die biblische Geschichte, die von Thamar erzählt, nicht die Tat dieser Frau, sondern bewundert im Gegenteil ihre raffinierte Art, wie sie sich selbst zu ihrem Recht verhilft.

Vielleicht will uns Matthäus heute so etwas sagen wie: „Schaut auf diese Frau, wie raffiniert sie zu ihrem versprochenen Sohn kommt! So raffiniert diese Frau gehandelt hat, so raffiniert kümmert sich Jesus um die zu kurz Gekommenen in dieser Welt, damit sie zu ihrem Recht kommen!“

Schauen wir nun auf die zweite Frau, auf Ruth. Die Schwiegermutter von Ruth, Noomi, war Israelitin, die im Lande Moab Zuflucht gesucht hat, denn in Israel war eine Hungersnot.

Heute würden wir Noomie in der Schweiz eine Asylantin nennen, manche würden sagen, das sei eine Schein-Asylantin, die das Asylrecht missbrauche, weil eine Hungersnot kein Grund ist, um Asyl beantragen zu dürfen.

Als die Hungersnot in Israel durch war, kehrte Noomie mit Ruth zurück. Ruths Mann war in der Zwischenzeit gestorben.

Der Moabiterin Ruth hatte es schwer in Israel als Ausländerin ohne Mann, dafür mit einer alten armen Schwiegermutter. Und es erging Ruth so, wie es heute wohl auch mancher Flüchtlingsfrau geht: Sie fand im neuen Land erst eine Existenzgrundlage, als sie einen reichen Einheimischen heiraten konnte.

Auch da staunen wir: Im Stammbaum von Jesus hungernde Menschen, die in fremden Ländern Asyl suchen.

Was will uns Matthäus für heute sagen? Wohl so etwas wie: Wenn dieser Immanuel zur Welt kommt, will er besonders ein Heiland der Hungernden dieser Welt sein. Dieser Heiland will denen eine Heimat suchen, die in dieser Welt aus Angst vor Krieg und Hunger umherirren.

Wie wenn das nicht genug wäre, wird es bei der dritten Frau im Stammbaum Jesu noch heikler. Sie kennen sicher die Situation, dass man mit Freunden oder Verwandten an einem Tisch sitzt und weiss, dass ein Thema unter keinen Umständen angesprochen werden darf. Themen, wo man, wie der Volksmund sagt, in ein Wespennest sticht.

Nun gibt es auch beim grossen König David ein solches Thema. Eines Tages verliebte er sich in die schöne Nachbarin Batscheba, betörte sie und beging Ehebruch, und sie wurde schwanger.

Doch damit nicht genug. Damit nichts auffallen würde, liess er den Uria, den Mann der Batscheba, auf hinterlistige Art aus dem Weg räumen. In der heutigen Sprache müsste man sagen, David liess den Uria mit Geheimdienstmethoden aus dem Weg räumen.

So viel gäbe es am König David zu rühmen, seinen Kampf mit Goliath, seine Güte gegenüber König Saul, seine Freundschaft zu Jonathan, aber nein, der Evangelist Matthäus erwähnt das alles im Stammbaum mit keinem Wort. Er legt den Finger dagegen genau auf den wunden Punkt mit dem Satz: David zeugte mit der Frau des Uria den Salomon. Wer die Bibel kennt, kann diesen Satz nicht anders lesen als: David zeugte mit der gestohlenen Frau des umgebrachten Uria den Salomon.

Es ist, als wollte der Evangelist Matthäus seinen Zeitgenossen, von denen viele wieder einen solchen König wie David erwarteten, sagen: Auch König David war ein weltlicher König, der die Macht manchmal skrupellos eingesetzt hat. Menschliche Macht hat immer auch ihre dunklen Seiten.

Und so sagt er auch zu uns heute an Weihnachten: Dieser heute geborene Immanuel hat eine ganz andere Macht, die mit keiner menschlichen Macht zu vergleichen ist.

Dieser Immanuel ist so etwas Unmögliches wie ein milder König, ein Friedefürst ohne Schwert und ohne wirtschaftliche Macht.

Kommen wir noch zur 4. Frau, zu Maria. Über sie steht nicht viel in der Bibel. Sie ist eine unbekannte Frau aus niederem Geschlecht, ein Magd, und zudem aus dem unbekannten Dorf Nazareth, das nur noch so halbweg zu Israel gehörte, quasi draussen in der Provinz.

Und doch wird diese Maria zur bekanntesten, meistgemalten Frau der Geschichte.

Martin Luther sagte einmal: „Es ist Gottes Natur, dass er aus nichts etwas macht.“

Maria ist dafür das schönste Gleichnis.

Mit Maria will uns Matthäus sagen: Der Immanuel, der heute geboren wird, ist dort, wo nichst ist, damit er aus dem Nichts alles machen kann.

Nachdem wir uns den Ahnfrauen Jesu einzeln zugewandt haben und somit die Geburt Jesu beleuchtet haben, fassen wir nochmals den ganzen Stammbaum, und was Matthäus daraus macht, ins Auge.

Weihnachten ist ein schönes Fest, wo wir uns alle „herausputzen“ und die guten Seiten zeigen wollen. Die verschiedenen Spannungen, ja sogar Streitsachen werden vroübergehend vergessen und begraben, sodass die Festtage Harmonie ausstrahlen können.

Wir würden uns vom Evangelisten Matthäus uns ein paar Lamettas wünschen, damit wir unserer Harmonie noch den nötigen Glanz umhängen könnten.

Aber Matthäus gibt uns keine glizernden Lamettas, sondern erinnert uns im Gegenteil konseuqent an Dinge, die gerade nicht harmonisch waren im Stammbaum von Jesus.

Aber auch die Geburt Jesu war ja alles andere als harmonisch: keinen Platz in der Herberge, Flucht vor Herodes usw. Darum passt der unharmonische Stammbaum Jesu gut vor seine Geburt.

Und trotzdem glaube ich, dass gerade diese Sichtweise auf Weihnachten ein besonderes Trost ist. Wäre Jesus in eine sogenannt intakte Familie hinein geboren worden, in eine Welt, wo paradiesische Verhältnisse geherrscht hätten, woran könnten wir uns heute freuen?

Dann würde Jesus vielleicht ein paar Tage in unsere Welt passen und den Rest des Jahres müssten wir uns fragen: Was hat Jesus mit meiner Welt, meinem Leben zu tun?

Nein, Jesus brachte den Frieden in eine Welt, die ganz und gar nicht harmonisch war und ist, und gerade in eine solche Welt brachte er Frieden, gerade in eine Welt, in der ein Schwiegervater nicht zu seinem Wort steht, in der Menschen hungern, in der ein König die Ehe bricht und einen unschuldigen Menschen töten lässt, in der eine unbekannte Magd nichts gilt, in eine solche Welt wurde Jesus als der Immanuel, als der „Gott mit uns“ geboren.

Darum dürfen wir uns heute aus ganzem Herzen freuen.

Amen.



Richterswil, den 25. Dez. 15