Predigt zu Karfreitag

Predigttext Lk 23, 33-43

33Und als sie an den Ort kamen, der Schädelstätte genannt wird, kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken. 34Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun. Sie aber teilten seine Kleider unter sich und warfen das Los darüber.

35Und das Volk stand dabei und sah zu. Und auch die vornehmen Leute spotteten: Andere hat er gerettet, er rette jetzt sich selbst, wenn er doch der Gesalbte Gottes ist, der Auserwählte. 36Und auch die Soldaten machten sich lustig über ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig 37und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann rette dich selbst! 38Es war auch eine Inschrift über ihm angebracht: Dies ist der König der Juden. 39Einer aber von den Verbrechern, die am Kreuz hingen, verhöhnte ihn und sagte: Bist du nicht der Gesalbte? Rette dich und uns! 40Da fuhr ihn der andere an und hielt ihm entgegen: Fürchtest du Gott nicht einmal jetzt, da du vom gleichen Urteil betroffen bist? 41Wir allerdings sind es zu Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42Und er sagte: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. 43Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.

Predigt

Liebe Gemeinde

Bei einem Gespräch vor nicht allzu langer Zeit habe ich mich für einen Kollegen geschämt. Ich unterhielt mich mit einer Jüdin in meinem Alter, die sich als Schülerin für den christlichen Religionsunterricht interessiert hatte. Der zuständige Pfarrer hätte jedoch gesagt, jemand aus dem Volk, das Jesus umgebracht habe, wolle er nicht im Unterricht.

Ein alter und doch sehr seltsamer Vorwurf. Es stimmt zwar, dass die jüdische Oberschicht zusammen mit den Römern für die Kreuzigung Jesu verantwortlich war. Doch wenn man dies den Juden vorwirft, müsste man das ganz Europa seit Karl dem Grossen vorwerfen, denn die Ottomanen nannten sich bewusst heiliges römisches Reich deutscher Nation. Man war in Europa also stolz darauf, Nachfolger derjenigen zu sein, die auch Jesus an’s Kreuz geschlagen hatten, während man gleichzeitg den Juden genau dies zum Vorwurf machte.

Der besagte Pfarrer, der allgemein von den Juden als Mördern Jesu sprach und dachte, hat wohl auch die 7. These von Seelisberg nicht gekannt.

1947 unternahmen Juden und Christen in einer Konferenz in Seelisberg am Vierwaldstättersee den Versuch, nach den schrecklichen Verbrechen im 2. Weltkrieg über christlich motivierten Antisemitismus nachzudenken und diesen zu hinterfragen bzw. einzudämmen.

In der theologisch sehr interessanten These 7 wurde über die Kreuzigung Jesu folgendes gesagt: „Es war nur eine Gruppierung von Juden in Jerusalem, die den Tod Jesu forderte, und es war schon immer die christliche Botschaft, dass diese Juden ein Beispiel für die Sünde der ganzen Menschheit sind, und dass es die Sünden, die alle Menschen teilen, waren, die Jesus an’s Kreuz brachten.

Gemäss Seelisberg sind es die Sünden, die alle Menschen teilen, die Jesus an’s Kreuz brachten.

Ist es nicht genau dasselbe, das Paul Gerhardt in der dritten Strophe von „O Haupt voll Blut und Wunden“ gedichtet hat?

„Ich, ich hab es verschuldet.“ Jeder ist in die Schuld eingeschlossen.

Zuerst sollten wir uns bewusst sein, dass es nicht nur spektakuläre Schuld gibt. Nicht nur die Soldaten, die Jesus verhöhnt und an’s Kreuz genagelt haben sind schuld. Und von den Jüngern ist der Verräter Judas zwar der Hauptverantwortliche dafür, dass Jesus gefangen genommen wurde – aber es gibt auch die viel normalere, alltägliche Schuld des Petrus, dass er seinen Freund im entscheidenden Moment im Stich lässt und dreimal beteuert, dass er diesen Jesus nicht kenne.

Und Petrus stellt uns damit schon eine unangenehmere Frage: wie würde ich reagieren, würde ich mich zu Jesus in einer solch brenzligen Lage bekennen, oder ihn verleumden?

Doch Jesus ist nicht nur wegen persönlicher Schuld gekreuzigt worden. Es gab im damaligen Galiläa und Judäa auch strukturelle Spannungen, z. B. zwischen Römern und Juden. Die jüdische Provinz war nicht die Traumdestination für einen römischen Soldaten, waren die Juden mit ihrem Glauben an einen einzigen Gott und ihrer Aufmüpfigkeit gegen fremde Herrscher unbeliebt und schwer zu durchschauen.

Auch im Judentum selbst gab es heftige Spannungen und Auseinandersetzungen darüber, wie man sich zu den Römern stellen solle. Die Zöllner, die die Steuern für die Römer einzogen, waren sozusagen Kollaborateure, waren Profiteure des römischen Systems. Die Zeloten dagegen meinten, es entspräche dem Willen Gottes, die Römer zu vertreiben und die Boden- und Sabbatgesetzte des Alten Testaments wieder wörtlich unter einer jüdischen Obrigkeit umzusetzen. Die extremsten unter den Zeloten, die Sikarier, trugen ständig einen versteckten Dolch unter dem Mantel, damit sie, wenn sich die Gelegenheit böte, einen Römer hinterrücks hätten abstechen können.

Die Soldaten, die Jesus verhöhnten und ihm eine Dornenkrone aufsetzten, waren also nicht einfach menschliche Monster. Hier war einer in ihrer Macht, von dem viele im Volk sagten, er sei der neue jüdische König. Da gab es mal die Gelegenheit, allen erfahrenen Frust und die Angst vor den Zeloten an einem auszulassen, der sich nicht wehren konnte.

Abu Ghreib und ähnliche Vorkommnisse zeigen, dass auch heute solches passiert, und jeder, der selber Militärdienst geleistet hat, muss sich fragen: könnte ich sicher sein, selbst vor solchem Verhalten gefeit zu sein?

Und da gab es zur Zeit Jesu vielleicht einen einen Schäfer, der davon lebte, dem Tempel seine Schafe als Opferlämmer zu verkaufen. Jetzt kommt Jesus und sagt: „Gott will nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit!“ Klar hatte der einfache Mann Angst, dass seine Einnahmequelle wegbrechen könnte und er kein Geld mehr für Kinder und Frau hätte. Vielleicht schrien auch solche Menschen „kreuzige!“!

Ging es unserem Reformator Zwingli denn anders, als er die Kriegsdienste in fremden Diensten als unchristlich anprangerte? Meinten nicht die Innerschweizer, Zwingli könne als reicher Zürcher ja gut eine solche weltfremde Ethik propagieren, sie als strukturschwache Stände seien auf die Einnahmen der plündernden Soldaten eben angewiesen?

Und gibt es dazu nicht Ähnlichkeiten in der heutigen politischen Diskussion?

Und man kann sich vorstellen, wie viele Menschen Jesus damit provoziert hat, dass er ständig mit Menschen aus schlechter Gesellschaft zusammen gesessen ist.

Ständig haben Theologen versucht, die Botschaft von Jesus zu verharmlosen. Aber wollte Jesus harmlos sein, der selbstgerechten Menschen zugerufen hat: vor euch kommen Zöllner und Dirnen in’s Reich Gottes?

Stellen Sie sich doch mal eine halbe Minute vor, mit wem heute Jesus zusammensitzen müsste, damit am nächsten Tag die schweizerische Volksseele kochen würde.

Nicht nur dazu, zu allem gesagtem gäbe es nach kürzerem oder längerem Suchen in der heutigen Zeit Parallelen. Wie zur Zeit Jesu leben wir heute bewusst oder unbewusst in sündhaften Strukturen, die Menschen wie Jesus um’s Leben bringen.

Im Endgericht des Matthäusevangeliums sagt Jesus: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Wenn ich z. B. durch gebleichte Jeans die Gesundheit eines jungen Knaben in Bangladesh zerstöre, dann kann, dann muss ich mit Paul Gerhardt einstimmen: „Ich, ich hab es verschuldet!“

Doch Paul Gerhardt bleibt richtigerweise nicht bei der Schuld stehen. Die Strophe endet mit: „Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad.“

Und so ruft Jesus vom Kreuz herunter: „Vater, vergib ihnen!“

Und Jesus hat Versöhnung nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt. Er hat das Wunder vollbracht, dass seinem Jüngerkreis sowohl ein Zöllner wie auch ein Zelot angehörten, ein Kollaborateur zusammen mit einem Widerstandskämpfer. Beide haben ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und kämpften danach mit Jesus mit gewaltlosen Mitteln für das Gottesreich.

Tod und Auferstehung Jesu haben in der Jüngergemeinde so nachgewirkt, dass Paulus wenige Jahre später, in einer Welt, in der sich Juden und Heiden bald zum grossen Krieg, der mit der Zerstörung Jerusalems endete, aufschaukelten, für die Gemeinde der Glaubenden sagen konnte: „Da ist weder Grieche noch Jude, weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau.“ (Gal 3,28)

Der Petrus, der Jesus bitter verleugnet hat, folgt ihm später treu bis in den Tod, ebenso die meisten anderen Jünger.

Und trotz allen Missbrauchs des Christlichen: sind nicht die Nachfolger Jesu diejenigen, die sich zu unterschiedlichsten Zeiten und Orten immer wieder für Schwache und Unterdrückte eingesetzt haben?

Die Welt ist fast immer noch die gleiche wie zur Zeit Jesu, die schuldhaften Verstrickungen sind heute ähnlich wie damals.

Aber Jesus hat mit Tod und Auferstehung gezeigt, dass es einen Weg gibt, auszubrechen, die alten Konflikte, vor allem die alte Gleichgültigkeit hinter sich zu lassen. Er hat gezeigt, wie Menschen wirklich Kinder Gottes sein können. Seine Nachfolger glauben an diese Kraft, wer sich mit dem alltäglichen Übel und Bösen alternativlos abfindet, ist noch nicht wirklich zum Glauben gekommen.

Amen.

Richterswil, 3. 4. 15Peter Spörri, Pfr.